Nov 11

Brennende Bücher: “Burning the Books: A History of Knowledge Under Attack” [Renzension]

Ovenden, Richard, 2020: Burning the Books: A History of Knowledge Under Attack. London: John Murray. 320 Seiten. Taschenbuch, € 6,04 bei amazon.de.

(Das Buch ist auch verfügbar als gebundenes Buch für € 24,75 sowie in einer deutschen, allerdings etwas freien und teilweise den Inhalt leicht verfälschenden, Übersetzung;

“Bedrohte Bücher. Eine Geschichte der Zerstörung und Bewahrung des Wissens.”

Wird mehr attackiert als “nur” die Worte, die diese Bücher enthalten?; so stand es in der “Financial Times” anlässlich des Erscheinens des im Titel genannten Buches des britischen Autoren und Bibliothekars Richard Ovenden im Jahr 2020 zu lesen.

In diesem m.E. lesenswerten Buch beschreibt Ovenden, der auf eine herausragende Karriere im Bibliothekswesen zurückschauen kann und seit 2014 als der 25. Bibliothekar der Bodleian Library an der Universität Oxford fungiert – die ihrerseits sechsundzwanzig einzelne Bibliotheken in Oxford samt der zentralen Universitätsbibliothek umfasst –, Bücherverbrennungen, Zerstörungen von Bibliotheken und digitale Manipulationen von Daten oder Texten zu verschiedenen Zeiten in der Geschichte der Menschheit und an verschiedenen Orten – und ihre Folgen.

Sein Anliegen ist es erstens zu zeigen, dass Versuche, Informationen und Wissen dem Vergessen anheim fallen zu lassen – sei es böswillig oder durch das Bestreben motiviert, zu einer bestimmten Zeit vermeintlich oder tatsächlich als falsch oder überholt erkannte Darstellungen auszusondern –, so alt sein dürften wie die ersten Bemühungen darum, Wissen und Informationen zu sammeln und für Folgegenerationen zu bewahren, und zweitens zu zeigen, warum der uneingeschränkte Zugang zu Informationen und die Bewahrung von Wissen, das “vulnerable, fragile and unstable” (Ovenden 2020: 7), d.h. “verletzlich, zerbrechlich und instabil”, sein kann,

“… vital for an open, healthy society [ist], as indeed it has been since the beginning of our civilisations” (Ovenden 2020: 5), d.h. “… lebenswichtig für eine offene, gesunde Gesellschaft [ist], wie es in der Tat seit Beginn unserer Zivilisationen der Fall war” (Ovenden 2020: 5).

Das Buch von Ovenden umfasst neben einer Einleitung fünfzehn Kapitel sowie eine Danksagung, Bildnachweise, Anmerkungen, bei denen es sich hauptsächlich um Literaturnachweise handelt, eine Bibliographie und einen vergleichsweise detaillierten Index, der Personen- und Sachindex in einem ist. Die große Mehrheit der Kapitel des Buches ist jeweils einem bestimmter Fall von Zerstörung einer Bibliothek oder eines Archives gewidmet, darunter die Zerstörung der Bibliothek von Alexandria in Ägypten, die Auflösung der Klosterbibliotheken im Zuge der Zerstörung der Klöster durch König Henry VIII. (Heinrich, den Achten) auf der Britischen Insel (in Kapitel 3), die einmal versehentliche, beim zweiten Mal absichtliche Verbrennung der “Library of Congress” durch die britische Armee im 19. Jahrhundert (in Kapitel 5), die systematischen Bücherverbrennungen und Beschlagnahmungen von Büchern in Nazi-Deutschland, die im Mai 1933 begannen, (in Kapitel 8), und das Bombardement der National- und Universitätsbibliothek von Bosnien und Herzegowina in Sarajewo durch serbische Milizen am 25. August 1992, die außerdem Feuerwehrleute erschossen, die vergeblich versuchten, die Bibliothek zu retten (in Kapitel 10). Diese Darstellungen waren für mich aufschlussreich, und sie sind durch Literaturhinweise im mit “Notes” überschriebenen Teil am Ende des Buches gut belegt. Wie umfassend sie sind, kann ich mangels eigenen historischen Wissens nicht beurteilen. Aufgrund des Raumes, den sie im Buch einnehmen, stellen sie den Schwerpunkt des Buches dar. Für mich persönlich waren aber es aber nicht diese Darstellungen, die ich besonders anregend fand, sondern die Fragen, die Ovenden nicht nur, aber vor allem und in systematischer(er) Weise in den letzten Kapiteln seines Buches behandelt.

So bearbeitet Ovenden in Kapitel 13 des Buches die Fragen: “As our everyday lives are increasingly played out in digital form, what does that mean for the preservation of knowledge? Since the digital shift has been driven by a relatively small number of powerful technology companies, who will be responsible for the control of history and for preserving society’s memory? Is knowledge less vulnerable to attack when it is controlled by private organisations? Should libraries and archives still have a role to play in stewarding digital memory from one generation to the next as they have done since the ancient civilisations of Mesopotamia?” (Ovenden 2020: 197-198). “Unser Alltag spielt sich zunehmend in digitaler Form ab. Was bedeutet das für die Bewahrung von Wissen? Da der digitale Wandel von einer relativ kleinen Zahl mächtiger Technologieunternehmen vorangetrieben wurde, wer wird für die Kontrolle der Geschichte und die Bewahrung des gesellschaftlichen Gedächtnisses verantwortlich sein? Ist das Wissen weniger anfällig für Angriffe, wenn es von privaten Organisationen kontrolliert wird? Sollten Bibliotheken und Archive weiterhin eine Rolle bei der Bewahrung des digitalen Gedächtnisses von einer Generation zur nächsten spielen, wie sie es seit den antiken Zivilisationen in Mesopotamien getan haben?”

Zwar bietet die Digitalisierung eine zusätzliche Chance für die Bewahrung und Weitergabe von Informationen bzw. Wissen, aber gleichzeitig bietet sie Chancen, Informationen und Wissen in bis dahin unbekanntem Ausmaß und in Sekundenschnelle zu zerstören, zu manipulieren oder unzugänglich zu machen, Letzteres u.a. durch DDos(Denial-of-Service)-Angriffe, bei denen eine systematische Überlastung von Servern durch von Bots generierte Anfragen herbeigeführt wird.

Ovenden weist auch auf m.E. sehr wichtige Gerechtigkeitsfragen hin, wenn er festhält, dass ein großer Teil des kulturellen Gedächtnisses der Menschheit durch die Digitalisierung bereits jetzt in der Hand weniger großer Unternehmen wie Google oder Facebook geraten ist, die sich seiner als “Daten” bedienen, sie zugänglich machen oder nicht zugänglich machen können. Z.B. machen sie große Teile des kulturellen Gedächtnisses der Menschheit nur einem zahlenden Publikum oder sonstwie ausgewählten Personengruppen zugänglich, Und nicht nur das: “They are collecting knowledge created by us all and we now refer to it simply as ‘data’. This data is gathered from the entire globe, and because it relates to our interaction with their platforms the companies often have exclusive access to it. They are using it to manipulate our behaviour in many different ways, mostly by trying to shape our purchasing habits, but this influence is also entering other areas of life – our voting behaviour and even our health. They are doing this in secretive ways, which are hard for people to understand” (Ovenden 2020: 198). “Sie sammeln das von uns allen geschaffene Wissen, das wir heute einfach als ‘Daten’ bezeichnen. Diese Daten werden auf der ganzen Welt gesammelt, und da sie sich auf unsere Interaktion mit ihren Plattformen beziehen, haben diese Unternehmen oft exklusiven Zugang zu ihnen. Sie nutzen sie, um unser Verhalten auf vielfältige Weise zu manipulieren, vor allem indem sie versuchen, unsere Kaufgewohnheiten zu beeinflussen, aber dieser Einfluss dringt auch in andere Lebensbereiche vor – in unser Wahlverhalten und sogar in unsere Gesundheit. Sie tun dies auf geheimnisvolle Weise, die für die Menschen schwer zu verstehen ist” (Ovenden 2020: 198).

Ein paar Seiten weiter, genau: auf Seite 201, weist Ovenden dann darauf hin, dass solche Praktiken der Digitale-Technologie-Unternehmen sowie deren Beteiligung an und Manipulation von politischen Kampagnen überhaupt nur belegbar ist, wenn die Archive, die Belege hierfür enthalten, nicht ihrerseits von diesen Unternehmen kontrolliert werden und dementsprechend zerstört, manipuliert oder unzugänglich gemacht werden. Wie Ovenden festhält, ist es deshalb wichtig, dass es Bibliotheken und Archive gibt, “… that preserve the web (in ‘web archives’) … as they are able to provide permanent bases for a huge range of the human endeavours documents online in websites, blogs and other web-based resources. The public statements of political candidates, office holders and government officials (often to their embarrassment) appear on the web, and there is an increasing sentiment that they should be preserved so that the public, the media and, eventually, voters can call their representatives to account for those statements” (Ovenden 2020: 201). “… die das Web (in ‘Webarchiven’) bewahren, … da sie in der Lage sind, eine dauerhafte Basis für ein riesiges Spektrum menschlicher Bestrebungen zu schaffen, die online in Websites, Blogs und anderen webbasierten Ressourcen dokumentiert sind. Die öffentlichen Äußerungen von politischen Kandidaten, Amtsinhabern und Regierungsbeamten erscheinen (oft für sie peinlicherweise) im Web, und es gibt ein zunehmendes Gefühl dafür, dass sie bewahrt werden sollten, damit die Öffentlichkeit, die Medien und schließlich die Wähler ihre Repräsentanten für diese Äußerungen zur Rechenschaft ziehen können” (Ovenden 2020: 201).

Ein “Recht auf Vergessenwerden”, wie es in Deutschland und der EU gemäß Artikel 17 DSGVO existiert, ist diesem Anliegen entgegengesetzt. Es schützt vor allem diejenigen, die nicht (mehr) die Verantwortung dafür tragen möchten, was sie öffentlich gesagt oder getan haben und leistet damit unverantwortlichem Sprechen und Handeln Vorschub, während es verhindert, dass sich jemand ein eingermaßen realistisches Bild von jemand anderem machen kann, dem es per Gesetz freisteht, diejenigen Aspekte seiner Person oder seiner Rede, die er selbst nicht schätzt (sonst wollte er ja nicht verhindern, dass sie in der Öffentlichkeit bekannt oder weiter bekannt werden), zu unterschlagen.

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Private Initiativen zur Dokumentation von im web veröffentlichten Inhalten sind vor diesem Hintergrund sehr wichtig, wenn nicht unverzichtbar. Als das “uber-web archive” aller derzeit exisiterenden digitalen Archivierungs-/Dokumentations-Initiativen bezeichnet Ovenden das “Internet Archive” mit Sitz in San Francisco, das von Brewster Kahle im Jahr 1996 geschaffen wurde (Ovenden 2020: 202). Eine der wichtigsten Dienstleistungen des “Internet Archive” ist die “Wayback Machine”, in der Webseiten gesichert sind, die im Rahmen einer normalen Suche mit Hilfe von Suchmaschinen (z.B. Google Search, DuckDuckGo etc.) nicht mehr gefunden werden können, weil sie von den jeweiligen Betreibern aus dem Netz genommen wurden . Ovenden (2020: 203) berichtet, dass das “Internet Archive” seit seiner Existenz 441 Billionen Web-Seiten gesichert hat. Den Nutzen der “Wayback Machine” illustriert Ovenden anhand einer eigenen Erfahrung: “When my family and I moved to Oxford in 2003 we had to fight a case with the Local Education Authority to make it possible for our two children to attend the same local primary school. We were able to prove that the authority’s public information about its policy changed on a certain date by accessing the preserved copies of their website through the Wayback Machine” (Ovenden 2020: 203). “Als meine Familie und ich 2003 nach Oxford zogen, mussten wir einen Prozess mit der örtlichen Schulbehörde führen, damit unsere beiden Kinder die gleiche Grundschule besuchen konnten. Wir konnten beweisen, dass sich die öffentlichen Informationen der Behörde über ihre Politik zu einem bestimmten Datum geändert hatten, indem wir über die Wayback Machine auf die erhaltenen Kopien ihrer Website zugriffen” (Ovenden 2020: 203).

Howard College, South Africa

Ovenden betrachtet das “Internet Archive” als “incredibly valuable” (Ovenden 2020: 203), d.h. als äußerst wertvoll, und als “‘organised body of knowledge’ of huge importance for global society” (Ovenden 2020: 204), d.h. als “‘organisierten Wissensbestand’ von großer Bedeutung für die globale Gesellschaft”, aber er macht sich Sorgen um seine Überlebensfähigkeit als kleine, unabhängige Einrichtung, die nur eine bescheidene Finanzierungsgrundlage aufweisen kann (Ovenden 2020: 203). Er meint deshalb:

“The international community of libraries and archives need to come together to develop new ways of supporting the Internet Archive’s mission” (Ovenden 2020: 204), d.h. “Die internationale Gemeinschaft der Bibliotheken und Archive muss zusammenkommen, um neue Wege zur Unterstützung der Aufgabe des Internet Archive zu entwickeln” (Ovenden 2020: 204).

Zur Finanzierung von – digitalen oder traditionellen – Archiven und Bibliotheken schlägt Ovenden (in Kapitel 14) die Einführung einer “memory tax” (Ovenden 2020: 222), d.h. einer “Gedächtnis-Steuer” oder “Erinnerungs-Steuer”, vor, die von den Tech-Unternehmen gezahlt werden sollten. Dieser Vorschlag schließt an das oben bereits angesprochene Gerechtigkeitsproblem, das Ovenden sieht, an: “The tech companies that earn so much from us all and pay so little in terms of regular business taxes could be asked to fund the very area they are undermining with their operations: social memory. A small levy, perhaps 0.5 per cent of their profits, might provide a serious fund that the public memory institutions could call on to support their work” (Ovenden 2020: 222). “Die Technologieunternehmen, die so viel an uns allen verdienen und so wenig an regulären Unternehmenssteuern zahlen, könnten aufgefordert werden, genau den Bereich zu finanzieren, den sie mit ihrer Tätigkeit untergraben: das soziale Gedächtnis. Eine kleine Abgabe, vielleicht 0,5 Prozent ihrer Gewinne, könnte einen ernsthaften Fonds bilden, auf den die öffentlichen Gedächtnisinstitutionen zurückgreifen könnten, um ihre Arbeit zu unterstützen” (Ovenden 2020: 222).

Was Ovenden diesbezüglich offenbar als unproblematisch ansieht, es jedenfalls nicht als problematisch thematisiert, ist, dass dies gesetzliche Regelungen möglichst einer ganzen Reihe von nationalen Regierungen erfordern würde, und diese, wenn die erforderliche gesetzliche Grundlage geschaffen wäre, alles andere als neutrale Treuhänder von Steuermitteln sind, wie uns die Erfahrung gelehrt haben sollte. Nationale Regierungen sind heutzutage nicht weniger daran interessiert, ihre politische Ideologie zu propagieren und ihren politischen wie materiellen Nutzen zu mehren als zu irgendeiner anderen Zeit (eher im Gegenteil) und als dies Technologie-Unternehmen sind.

Wie lange würde es wohl dauern, bis die Mittel aus der Gedächtnis-/Erinnerungssteuer (vornehmlich oder gänzlich) denjenigen zufließen würden, die ausgewählte Gedächtnis-/Erinnerungsarbeit leisten würden, nämlich solche, die von den jeweiligen Regierungen erwünscht ist, während unerwünschte unterbleiben kann, da die Erinnerung an ideologisch oder politisch Unterwünschtes ohnehin als “fake news” gebrandmarkt würde?!

Ironischerweise liefert Ovenden selbst in seinem Buch einige Beispiele für ideologisch motivierte “Schlagseite”, die deutlich zeigt, dass Menschen, die Archive oder Bibliotheken verwalten, wie Ovenden das seit Jahrzehnten tut, durchaus nicht unbedingt als die neutralen Hüter von Informationen angesehen werden können als die sie sich vielleicht selbst sehen oder als die sie gesehen werden wollen. So hat Ovenden u.a. eine ärgerliche Neigung, Beispiele für die Relevanz von digitalen Archiven auf Kosten von Donald Trump, u.a. auf den Seiten 205 bis 206, aber niemals von Hillary Clinton oder Joe Biden zu bringen. Ovenden ist anscheinend auch aufrichtig davon überzeugt, dass die “Wikipedia” etwas anderes (geworden) sei als ein Propagandainstrument Linksextremer oder sozialer Aktivisten (s. Ovenden 2020: 207-208); so bezeichnet er die “Wikipedia” auf Seite 207 allen Ernstes als eine “online encyclopedia” und “[o]ne of the most heavily used ‘organised body of knowledge’ in the present day”, und fügt beunruhigenderweise an:

“Libraries and archives, far from feeling threatened by it, have from the outset chosen to work with it” (Ovenden 2020: 207), d.h. “Bibliotheken und Archive fühlen sich davon keineswegs bedroht, sondern haben sich von Anfang an dafür entschieden, mit ihr zu arbeiten” (Ovenden 2020: 207),

aber anscheinend haben sie nicht bemerkt, dass die “Wikipedia” von ihren anfänglich durchaus respektablen Zielen sehr weit abgekommen ist und statt eines Wissenskorpus ein systematisch zensiertes und manipuliertes Instrument zur Bekämpfung ideologisch unwillkommener Ideen, Tatsachen und Personen geworden ist, und zwar so sehr, dass selbst der Mitbegründer der “Wikipedia”, Larry Sanger, in Interview mit Fox News den linken Bias derselben kritisiert und als “entmutigend” bezeichnet und festgestellt hat, dass “The days of Wikipedia’s robust commitment to neutrality are long gone”, d.h. “Die Zeiten, in denen die Wikipedia konsequent der Neutralität verpflichtet war, sind längst vorbei” (s. hierzu den Bericht von Mailonline vom 21. Februar 2021).

Ein Archiv oder eine Bibliothek muss dies wissen, insbesondere dann, wenn sie mit der “Wikipedia” arbeitet. Leider erweist sich Ovenden auch mit Bezug auf das Thema “Klimawandel” als voreingenommen: “The issue of climate change is perhaps the most urgend facing the world and an important recent study analyses climate data contained in an extraordinary archival record … Climate scientists have found that they can use this data to show that the frequencies of extreme weather in earlier centuries were outliers, but that these extremes have become the norm, since an observable shift in the climate since 1988” (Ovenden 2020: 227). “Die Frage des Klimawandels ist vielleicht die dringlichste, mit der die Welt konfrontiert ist, und eine wichtige neue Studie analysiert Klimadaten, die in einem außergewöhnlichen Archiv enthalten sind … Klimawissenschaftler haben herausgefunden, dass sie diese Daten nutzen können, um zu zeigen, dass die Häufigkeit extremer Wetterereignisse in früheren Jahrhunderten Ausreißer waren, dass aber diese Extreme zur Norm geworden sind, da seit 1988 eine Verschiebung des Klimas zu beobachten ist” (Ovenden 2020: 227).

Was Ovenden an diesem Beispiel zeigen will, ist, dass während des Zeitpunktes oder in dem Zeitraum, zu dem/in dem man Daten oder Informationen sammelt, oft nicht erkennbar ist, zu welchen Zwecken sie später verwendet werden können oder in Bezug worauf sie später aufschlussreich sein können – oder irreführend, wie sein Beispiel zeigt (schon weil Wetter, auch extremes Wetter, nicht dasselbe ist wie Klima …), so muss man hinzufügen. Aber das Problem sind nicht die Daten, für deren Archivierung oder Dokumentation sich Ovenden einsetzt; das Problem ist vielmehr, dass nicht erkennbar ist, ob er sich gleichermaßen für die Archivierung oder Dokumentation z.B. des email-Wechsels im Rahmen von “climate gate” Dazu: Costella, John P. (2010). Climategate analysis. Science and Policy Institute (2010). McIntyre, Stephen, and Climate Audit (2010). The Diclousre of Climate Data from the Climatic Research Unit at the University of East Anglia.

engagieren würde, was er zweifellos tun sollte, wenn er Wissenserwerb befördern möchte.

Natürlich geht es hier nicht um die Person Ovendens, sondern darum: Wenn Bibliothekare (wie Ovenden einer ist) als Hüter des soziales Gedächtnisses und insbesondere des von der Menschheit erworbenen Wissens gelten wollen und daraus die Legitimation für die Wichtigkeit ihrer Arbeit und die Notwendigkeit von stabiler Finanzierung ableiten, dann ist es unabdingbar, dass sie sich “im Dienst” neutral verhalten bzw. sie sich als offen für alle Informationen und Daten, die eine bestimmte Angelegenheit betreffen, erweisen, denn selbstverständlich kann nicht von ihnen erwartet werden, dass sie über alle möglichen Themen, die Einträge in ihrem Archiv oder in ihrer Bibliotheke betreffen, möglichst vollumfänglich unterrichtet bzw. auf dem jeweiligen Stand der Forschung sind. Ovenden selbst bemerkt auf derselben (!) Seite, nämlich Seite 227: “The democracy that we have in Britain relies on the free circulation of ideas in order to breathe life into the questioning spirit of our democratic process. This mean, in part, freedom of the press, but citizens need to have access to knowledge of all shades of opinion. Libraries acquire all kinds of content and this resource allows our views to be challenged and for citizens to inform themselves …” (Ovenden 2020: 227). “Die Demokratie, die wir in Großbritannien haben, ist auf den freien Verkehr von Ideen angewiesen, um den fragenden Geist unseres demokratischen Prozesses mit Leben zu erfüllen. Das bedeutet zum Teil Pressefreiheit, aber die Bürger müssen auch Zugang zu Wissen über alle Meinungsschattierungen haben. Bibliotheken erwerben alle Arten von Inhalten, und diese Ressource ermöglicht es, dass unsere Ansichten in Frage gestellt werden und die Bürger sich selbst informieren können …” (Ovenden 2020: 227).

Aber schaffen Bibliotheken tatsächlich “all kinds of content”, alle Arten von Inhalten, an?

Welche Rolle spielen bei Beschaffungsentscheidungen die persönlichen Überzeugungen und Vorlieben der Bibliotheksleiter? Würde eine Regierung mit der Zuteilung von Steuermitteln nicht irgendeine Art von “Aufsicht” darüber führen wollen, was Bibliotheken anschaffen und was nicht? Schließlich sollen ja keine “fake news” steuermittelfinanziert von Bibliotheken verbereitet werden, oder?!

Während ich Ovendens Forderung, Archive und Bibliotheken stärker zu unterstützen, als solche uneingeschränkt unterstützen kann, bin ich deshalb, was das von ihm vorgeschlagene Mittel zu diesem Zweck betrifft, eher skeptisch. Dessen ungeachtet ist es auch m.E. wichtig, eine Diskussion um Mittel zur bestmöglichen Förderung des “sozialen Gedächtnisses” der Menschheit in der Öffentlichkeit zu beginnen.

Im letzten Kapitel des Buches, Kapitel 15, begründet Ovenden, warum wir seiner Meinung nach immer Bibliotheken und Archive brauchen werden, so die Überschrift des Kapitels. Zur Begründung hierfür benennt Ovenden fünf Funktionen, die Bibliotheken und Archive seiner Meinung nach erfüllen. Wenn Bibliotheken oder Archive zerstört werden oder unterfinanziert bleiben, Bücher verbrannt, Informationen unzugänglich gemacht werden oder bleiben, dann werden damit Gedanken, Ideen, Erfahrungen und Beobachtungen (mindestens) derjenigen, die die (in ihnen enthaltenen)Texte verfasst haben, vernichtet. Was bedeutet das im Einzelnen?

Ovenden benennt in diesem Zusammenhang zunächst die Funktion, die Bibliotheken und Archive für die Bildung speziell, aber nicht nur, junger Menschen spielen können. Weil Bibliotheken und Archive unentgeltlich genutzt werden können, stehen sie allen Einkommensklassen samt Einkommenslosen zur Verfügung. Ovenden fährt fort, die große Nachfrage nach Ausleih- und Recherchediensten am Beispiel “seiner” Bibliotheken, der Bodleian Library in Oxford, anhand von Daten zu belegen. (Es ist ausgerechnet im Zusammenhang mit der Bildungsfunktion von Bibliotheken, dass Ovenden meint, Daten hervorheben zu müssen, die einen angeblich von Menschen gemachten Klimawandel stützen; s.o.!)

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Dass Bibliotheken und Archive eine Bildungsfunktion überhaupt erfüllen können, hängt aber davon ab, dass sie Nutzern die Möglichkeit bietet, sich unterschiedlichen Ideen und verschiedenen Anschauungen darüber, was als Wissen (der Zeit, zu einer Sache) gilt, auszusetzen. Kritisches Denken zu entwickeln, ist weder möglich noch nötig, wenn es keine unterschiedlichen Ideen oder Anschauungen gibt bzw. nur ganz bestimmte Ideen oder Anschauungen als die (einzig) richtigen, akzeptablen oder relevanten dargestellt werden.

Innovation geschieht nicht in einem Vakkum, sondern ist in der Regel ein Ergebnis der Konfrontation mit verschiedenen, u.U. widersprüchlichen Beobachtungen oder Erfahrungen, die Menschen, die sie gemacht haben, in ihren Texten berichten. Und Innovation ist nötig, um die Gegenwart und Zukunft zu meistern.

Bücher zu verbrennen, Informationsquellen unzugänglich zu machen, sowie das Umschreiben oder (sonstwie) Manipulieren von Texten sind deshalb Betrug älterer Menschen an jungen Menschen, denen es überlassen bleiben wird, ihre Gegenwart und Zukunft bestmöglich zu gestalten und bewältigen, ohne dabei ggf. auf Anregungen oder Entwürfe zurückgreifen zu können, die ihnen diese Aufgabe vielleicht erleichtert hätten.

Was die Vergangenheit betrifft, so helfen uns die Konfrontation mit Ideen, die nicht dem Zeitgeist entsprechen mögen, und Berichte über die Erfahrungen, die Menschen zu anderen Zeiten unter anderen Lebensbedingungen gemacht haben, dabei, unsere Vergangenheit, unser So-und-So-Geworden-Sein und letztlich uns selbst zu verstehen. Dementsprechend hält Ovenden (als Punkt fünf seiner Liste der Funktionen von Bibliotheken und Archiven) fest:

“… libraries and archives help root societies in their cultural and historical identities through preserving the written record of those societies” (Ovenden 2020: 232), d.h. “… Bibliotheken und Archive tragen dazu bei, Gesellschaften in ihren kulturellen und historischen Identitäten zu verwurzeln, indem sie die schriftlichen Aufzeichnungen dieser Gesellschaften bewahren” (Ovenden 2020: 232).

Dabei ist weniger an literarische Werke zu denken als vielmehr an Materialien, die einen lokalen Bezug haben oder aus ihm heraus entstanden sind wie z.B. Familienchroniken, eine Abhandlung über Weinbau im 19. Jahrhundert in einer Bibliothek in einer Weinbau-Region, vielleicht samt Bebilderung, die den eigenen Großvater in jungen Jahren bei der Weinlese zeigt, oder eine Dokumentation der Geschichte der lokalen Burg.

Bibliotheke und Archive erfüllen nach Ovenden außerdem eine Funktion als Wahrer von Bürgerrechten. Dies wird verständlich vor dem Hintergrund von Ereignissen wie dem sogenannten Windrush-Skandal im Vereinigten Königreich, bei dem es um die Fehlklassifizierung von aus der Karibik stammenden Bewohnern der Insel mit anerkanntem Bürgerstatus als illegale Migranten ging, von denen verlangt wurde, ihren fortgesetzten Aufenthalt im Vereinigten Königreich nachzuweisen, wenn sie nicht deportiert werden wollten (Ovenden 2020: 5), oder der willentlichen Vernichtung von offiziellen Unterlagen durch serbische Militärs, um Muslime ihre Bürgerrechte vorenthalten zu können (Ovenden 2020: 229).

Die Sicherung oder Doppelung von offiziellen Dokumenten durch regierungsunabhängige Bibliotheken oder Archive können der Verletzung von Bürgerrechten oder anderen Individualrechten im Fall des Fehlens oder Verschwindens von offiziellen Dokumenten entgegenwirken, besonders angesichts der Tatsache, dass der rechtliche Status von Menschen zunehmend allein digital festgestellt und festgehalten wird, so dass sie bei Verlust des digitalen Dokumentes nichts auf der Hand haben, um ihren Status belegen zu können. Man kann m.E. nicht genug betonen, wie wichtig es vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung von offiziellen Dokumenten ist, für deren doppelte und dreifache Sicherung auf verschiedenen, regierungsunabhängigen Servern zu sorgen, wenn sie schon nicht zusätzlich als Papier-Dokument vorliegen. Die erheblichen Schwierigkeiten, die für einen Menschen entstehen können, wenn seine offiziellen Dokumente verloren gehen – sei es absichtlich oder nicht –, und wie schnell und einfach ein solcher Verlust erfolgen kann, werden in der Öffentlichkeit, soweit ich es sehe, längst nicht in dem Maß wahrgenommen und gewürdigt wie es in unser aller Interesse angebracht wäre.

Die letzte Funktion, die Ovenden (als Punkt vier seiner Liste) anspricht und die mit den und insbesondere der zuletzt genannten Funktion zusammenhängt, ist die Funktion von Bibliotheken und Archiven als Stätten, die dabei helfen, Rechenschaftspflicht einfordern zu können. Ovenden bringt diesbezüglich wieder ein Beispiel vernichteteter offizieller Unterlagen (diesmal mit Bezug auf Hong Kong; s. Ovenden 2020: 230), sowie das Beispiel von Forschungsergebnissen, die auf der Basis von Daten gewonnen und publiziert werden, aber normalerweise nicht von der diesbezüglich informierten und interessierten Öffentlichkeit und oft auch nicht von Fachkollegen überprüft werden können, weil ihnen die Daten einfach nicht zugänglich sind: “…. can the public access the underlying data so that the claims made by scientists can be verified (or the results of experiments reproduced) by other scientists? This process requires the data to be held independently so that it can be openly accessed – some of the research funders in the UK … now require researchers to deposit the data connected to research that they have funded in recognised data repositories … Libraries are key to this process, as they typically host institutional respositories of open access research papers and research data on behalf of scientific communities” (Ovenden 2020: 231-232). “…. kann die Öffentlichkeit auf die zugrunde liegenden Daten zugreifen, so dass die Behauptungen der Wissenschaftler von anderen Wissenschaftlern überprüft (oder die Ergebnisse von Experimenten reproduziert) werden können? Dieser Prozess setzt voraus, dass die Daten unabhängig aufbewahrt werden, damit sie offen zugänglich sind – einige der Forschungsförderer im Vereinigten Königreich … verlangen jetzt von den Forschern, dass sie die Daten, die mit den von ihnen finanzierten Forschungsarbeiten verbunden sind, in anerkannten Datenspeichern hinterlegen … Bibliotheken spielen in diesem Prozess eine Schlüsselrolle, da sie in der Regel institutionelle Repositorien für frei zugängliche Forschungsarbeiten und Forschungsdaten im Auftrag wissenschaftlicher Gemeinschaften beherbergen” (Ovenden 2020: 231-232).

Damit werden Forschungsdaten und die darauf gezogenen Schlussfolgerungen überprüfbar und ggf. als “fake science” (Ovenden 2020: 231) identifizierbar. Hier (ebenso wie bei der Sicherung digitaler offizieller Dokumente) geht es also um nicht mehr und nicht weniger als Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit, zwei Kriterien für Aussagen, die Anspruch auf Wahrheit bzw. Wahr-Sein erheben. Deshalb hält Ovenden fest:

“… libraries and archives provide a fixed reference point allowing truth and falsehood to be held to account through verification, citations and reproducibility” (Ovenden 2020: 230), d.h. “… Bibliotheken und Archive bieten einen festen Bezugspunkt, der es ermöglicht, [Aussagen mit Anspruch auf] Wahrheit und Unwahrheit durch Verifizierung, Zitate und Reproduzierbarkeit zur Rechenschaft zu ziehen” (Ovenden 2020: 230).

Ovenden beendet dieses letzte Kapitel mit dem Hinweis darauf, dass sich die Funktionen, die Bibliotheken und Archive erfüllen, nicht in den fünf von ihm genannten Funktionen erschöpfen, aber die Wichtigkeit der Bewahrung von Wissen (im weiteren Sinn) für die Gesellschaft aufzeigen.

Wie eingangs bereits gesagt ist das Buch von Ovenden m.E. sehr lesenswert. Es ist keine Kritik an dem Buch selbst, wenn ich abschließend bemerke, dass mir zwei Dinge gefehlt haben, die ich im Zusammenhang mit dem Thema des Buches wichtig finde. Die “Kritik” ist also tatsächlich gar keine bzw. keine Kritik an dem, was geleistet wurde, sondern gehört in die Klasse “Was-Ich-Mir-Sonst-Noch-Gewünscht-Hätte”.

Erstens hätte ich mir gewünscht, dass Ovenden in einem Kapitel die Kluft zwischen Anspruch und Realität mit Bezug auf die Dienstleistungen von Bibliotheken und Archiven für die Öffentlichkeit thematisiert. So mag es stimmen, dass sie unentgeltlich genutzt werden können, aber die wenigsten Menschen wohnen in hinreichender Nähe zu einer guten, großen Bibliothek, die viele Leistungen anbietet, um sie aufsuchen zu können. Die Nutzung der Dienstleistungen durch die meisten Menschen hängt also davon ab, dass Bibliotheken einer breiten Öffentlichkeit digitale Dienste anbieten. Diese digitalen Dienste werden aber häufig eben nicht angeboten. Versuchen Sie z.B., über Ihre örtliche Bibliothek oder die in der nächstgrößeren Stadt von zuhause aus Zugang zu Fachzeitschriften zu erhalten und Artikel in ihnen, sofern der Zugang wider Erwarten möglich sein sollte, nicht nur zu lesen (oder nur die Zusammenfassung zu lesen), sondern auch herunterzuladen oder auszudrucken! Sofern diese Dienste angeboten werden, sind sie gewöhnlich mit Lizenzen verbunden, die von Universitäten (mit-/)bezahlt werden, die ihrerseits den Zugang für an der Universität Studierende oder Angestellte beschränken und nicht für die Öffentlichkeit offen sind. Dasselbe gilt für Daten(-/Sätze); der Zugang zu ihnen bleibt oft Wissenschaftlern vorbehalten und erfordert teilweise die Angabe von Verwendungszweck oder des Forschungsprojektes, in dessen Rahmen die Daten von Interesse sind.

Solche Praktiken zeigen deutlich, dass es gar nicht das Ziel ist, (diese) Materialien der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, vielleicht aufgrund des überkommenen Vorurteils, dass in der breiten Öffentlichkeit nur wenige Menschen existieren, die das Interesse haben, die Daten abzurufen, und die Kompetenz, sie selbst zu analysieren oder zu interpretieren. Besonders dann, wenn man in der Öffentlichkeit dafür wirbt, dass sie sich mehr für die Unterstützung von Bibliotheken und Archiven einsetzen möge, ist es m.E. wichtig, die Mängel mit Bezug auf Dienstleistungen von Bibliotheken und Archiven für die breite Öffentlichkeit (und nicht nur für jeweils ausgewähltes Publikum) zu thematisieren.

Die zweite Soll-Stelle, die ich sehe, ist eine größere Beschäftigung mit der Frage, wer – allgemein, aber im Zusammenhang mit dem Buch von Ovenden speziell mit Bezug auf die Beschaffungs- und Angebotsentscheidungen von Bibliotheken und Archiven – wie entscheidet, was in einer Zeit, in der nicht einmal mehr ein Konsens darüber besteht, dass es Wissen gibt, das mehr als subjektive Geltung beanspruchen kann, als Beitrag zum Erwerb oder zur Weitergabe von Wissen angesehen wird und was nicht.

Wie können Bibliotheken und Archive sicherstellen, dass sie nicht einseitig Materialien sammeln, die ihnen heute oder aufgrund persönlicher Vorurteile) als Wissen vorkommen, und Materialien aus der Sammlung ausschließen, die für sie kein Wissen oder vielleicht “fake news” darstellen (sich aber morgen als faktisch zutreffend erweisen können)? Und sollen sich Bibliotheken und Archive auf die Sammlung von Wissen beschränken? Inwieweit sollte in Bibliotheken unterhaltendes Material gesammelt werden? Auf diese Fragen gibt es nur mehr oder weniger gut begründbare Antworten, aber keine richtigen oder falschen Antworten. Es geht also nicht darum, die richtige Antwort auf diese Fragen zu finden, geschweige denn zu verlangen, dass Ovenden die richtige Antwort auf diese Fragen in seinem Buch liefern solle. Es wäre m.E. aber hilfreich gewesen, wenn Ovenden seine diesbezügliche eigene Anschauung oder Praxis und seine Erfahrungen mit der entsprechenden Praxis angesprochen hätte; da dies nicht der Fall ist, kommt man als Leser schwerlich umhin, die implizit bleibenden Voraussetzungen, unter denen Ovenden für eine größere Wertschätzung und finanzielle Förderung von Bibliotheken und Archiven argumentiert, zu rekonstruieren, so gut es geht.

Wie gesagt ist es nicht fair, einem Buch anlasten zu wollen, was es nicht enthält, statt das zu würdigen, was es enthält, und das Buch von Ovenden enthält neben einer Vielzahl von Informationen über historische Bücherverbrennungen im weiteren Sinn viele Überlegungen (wie z.B. darüber, welche besonderen Ansprüche die zunehmende Digitalisierung an Einrichtungen stellt, die als eine Art soziales oder kulturelles Gedächtnis funktionieren sollen oder wollen), an denen der Leser ansetzen kann, um seine eigenen diesbezüglichen Überlegungen anzustellen.

Ich vermute, dass die meisten Leser des Buches zu dem Schluss kommen werden, es mit Gewinn gelesen zu haben, und würde deshalb die Lektüre des Buches allen, die sich für das Bibliothekswesen oder die Frage nach dem Wert der Bewahrung und Weitergabe von Wissen überhaupt interessieren, empfehlen. Deutschsprachigen Lesern würde ich außerdem empfehlen, wenn möglich, die englischsprachige Originalversion zu lesen und nicht die ins Deutsche übersetzte Version, die ich zugegebenerweise nicht vollständig gelesen habe, die mir aber aufgrund der Stichproben-Lektüre, die ich vorgenommen habe, nicht immer dem Tenor der Originalversion entsprechend vorkam, und sei es nur durch Konnotationen der gewählten Worte (was nicht unbedingt die Übersetzerin zu verantworten hat, sondern ein Stück weit bei jeder Übersetzung unvermeidlich ist).


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Sep 26

Umfrage: Wofür steht die CDU?

Peter Tauber, Generalsekretär der CDU, hat gerade 10 Punkte veröffentlicht, die zeigen sollen, wo die CDU steht, nicht etwa wofür die CDU steht, sondern wo. Die 10 CDU-Gebote, die Tauber formuliert hat, stellen im Wesentlichen das dar, was Max Weber einen Idealtypus genannt hat: Den Idealtypus der CDU, wie ihn Peter Tauber gerne in den Köpfen der Deutschen fixiert haben möchte.

Nun triften Vorstellung und Wirklichkeit ja oftmals auseinander, ziemlich weit auseinander in vielen Fällen. Und so haben wir uns gefragt, wie weit stimmt das Bild, das Tauber von der CDU, bei der er sein Geld verdient, zeichnet, mit dem Bild überein, das Bürger, Wähler, ScienceFiles-Leser von der CDU haben.

Und um uns das nicht nur zu fragen, sondern auch eine Antwort auf diese Frage geben zu können, die fundiert ist, haben wir eine Befragung konzipiert, deren Ziel darin besteht, die Wahrnehmung der CDU, so wie sie sich den Bürgern, den Wählern, den ScienceFiles-Lesern darstellt, zu erfragen.

Wir bitten unsere Leser, an unserer Befragung zahlreich teilzunehmen, damit wir sagen können, wofür die CDU steht und mit unserer Antwort, die auf der Wahrnehmung hoffentlich sehr vieler ScienceFiles-Leser beruht, eventuelle Fehleinschätzungen bei Peter Tauber, die er auf seiner Suche nach dem Standort der CDU, dem Wo der CDU begangen hat, mit der Antwort nach dem Wofür zurechtrücken zu können.

Zur Teilnahme an unserer Befragung, bitte diesen Link zu „Wofür steht die CDU“ klicken.

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Apr 03

Umfrage: Schluss mit Parteienoligarchie und -selbstbedienung

Demokratie ja, aber ganz anders, so kann man das erste Zwischenergebnis aus unserer jüngsten Befragung zusammenfassen. Die von uns befragten Deutschen haben die Nase mit der Art und Weise, wie die vermeintliche Demokratie in Deutschland praktiziert wird, gestrichen voll. Sie wollen durchgreifende Änderungen und Reformen nicht nur in der Art und Weise, wie Parlamente bestückt werden, sondern auch in der Art und Weise, wie die Eignung des politischen Personals bestimmt und Parteien an Steuergelder gelangen können.

Der Selbstbedienungsladen und der Parteiennepotismus, den viele derzeit am Werk sehen er soll  ein Ende haben, wenn es nach den 971 Befragten geht, auf die wir unser Zwischenergebnis stützen.

Die im Folgenden berichteten durchgreifenden Änderungen, die sich Deutsche im Hinblick auf ihr politisches System wünschen, stehen im Rahmen einer weitgehenden Unzufriedenheit mit dem demokratischen System Deutschlands: Nur 6,5% der 971 Befragten geben an, dass sie eher zufrieden (5,9%) oder sehr zufrieden (0,6%) mit dem demokratischen System Deutschlands sind. Wäre Deutschland ein Unternehmen, die Insolvenz wäre wohl nicht mehr abzuwenden, denn: 26,9% der Befragten geben an, dass sie eher unzufrieden mit dem demokratischen System Deutschlands sind und 64,3% sind sehr unzufrieden (2,2% wissen nicht, ob sie zufrieden oder unzufrieden sind). Da Deutschland ein demokratisches System und kein Unternehmen ist, muss man feststellen, dass das demokratische System Deutschlands derzeit keine Legitimität unter denen besitzt, auf die es sich angeblich stützt: den Bürgern.

Die Frage, warum Deutsche mit ihrem demokratischen System so unzufrieden sind, wie sie es sind, haben wir bereits in einer früheren Befragung beantwortet. Damals haben rund 1.650 Befragte Angaben zu den Dienstleistungen gemacht, die politische Parteien und ihr Personal erbringen und hier war das Ergebnis eindeutig: Parteien werden als weitgehend als nepotistische Organisationen angesehen, denen es darum geht, die eigene Klientel zu versorgen. Das politische Personal der Parteien wird weitgehend als von minderer Qualität und Kompetenz bewertet, als Ladenhüter, die es auf dem freien Arbeitsmarkt nicht weit, vermutlich nur bis zum nächsten Jobcenter gebracht hätten.

In unserer neuen Umfrage haben wir eine Reihe von Reformvorschlägen zur Diskussion gestellt, und unsere Leser gefragt, wie sie die einzelnen Vorschläge bewerten. Im Folgenden stellen wir die Ergebnisse in drei Blöcken vor die

  • die Art der Auswahl von Abgeordneten,
  • die Qualifikation der Abgeordneten und
  • den Zugriff auf Steuermittel zum Gegenstand haben.

Die folgende Abbildung zeigt, wie unsere Befragten gerne Parlamente besetzen würden und wie lange sie Abgeordnete in Parlamenten sitzen lassen wollen. Die Ergebnisse sind eine eindeutige Absage an die Hegemonie politischer Parteien, denn Parteilisten sind, wenn es nach unseren Befragten geht, eine Erscheinung der Vergangenheit, und sie sind eine eindeutige Absage an den Berufspolitiker, jenes Wesen, das außer Politik nichts kann: Eine große Mehrheit unserer Befragten spricht sich dafür aus, Abgeordnete für Parlamente direkt zu wählen, Parteilisten nicht mehr zuzulassen und die Amtszeit von Abgeordneten auf acht Jahre zu begrenzen.

Legitimitaet 1

Die Unzufriedenheit mit dem politischen Personal, also denjenigen, die sich aufschwingen, Bürgern zu erklären und vorzugeben, was für sie richtig ist, und die für sich in Anspruch nehmen, besser informiert und kenntnisreicher zu sein als Bürger, die wir in einer unserer letzten Befragungen u.a. als erhebliche Zweifel an der intellektuellen Kompetenz und Befähigung der entsprechenden Politiker gemessen haben, sie findet in der neuerlichen Befragung ihren Niederschlag darin, dass die Befragten Vorkehrungen dafür fordern, dass keine Personen in politische Ämter gelangen, die dafür nicht geeignet sind. Im Wesentlichen sollen Personen, die in ein Parlament, einen Landtag oder den Bundestag gewählt werden wollen, über mindestens 5 Jahre Berufserfahrung in der freien Wirtschaft verfügen und einen Nachweis ihrer intellektuellen Eignung – also z.B. einen Intelligenztest oder ein öffentliches Hearing, bei dem Wähler die Möglichkeit haben, die Kandidaten zu befragen – erbringen.

Legitimitaet 2

Schließlich zeigt auch die neuerliche Befragung, dass Parteien in erster Linie als nepotistische Organisationen wahrgenommen werden, deren Mitgliedern es vornehmlich darum geht, sich und ihrer Klientel ein üppiges Auskommen auf Kosten der Steuerzahler zu verschaffen. Wenn es darum geht, Steuerzahler zu schröpfen, haben sich Politiker immer als sehr erfinderisch erwiesen. Als das Bundesverfassungsgericht die Parteienfinanzierung für nicht verfassungsgemäß erklärt hat, haben Parteien flux politische Vereine gegründet, die aus Zwecken der Tarnung als politische Stiftungen bezeichnet werden, Steuerzahler-Stiftungen, um genau zu sein, denn die rund 700 Millionen Euro, die jährlich in den Unterhalt der angeblichen Stiftungen fließen, die vornehmlich der Versorgung von Parteisoldaten dienen, sie stammen ausschließlich aus Steuermitteln.

Wenn es nach den Deutschen geht, die an der ScienceFiles-Befragung bislang teilgenommen haben, dann hat es ein Ende mit der Selbstbedienung der Parteien, dem Nepotismus und den Versorgungs-Netzwerken auf Kosten von Steuerzahlern, denn eine große Mehrheit der Befragten ist der Ansicht, sowohl die Finanzierung von Parteien als auch die Finanzierung von vermeintlichen politischen Stiftungen aus Steuermitteln, sie müsse beendet werden.

Legitimitaet 3

Es führt also kein Weg an der Feststellung vorbei, dass viele Deutsche nicht nur mit ihrem politischen System unzufrieden sind, sondern die Nase von politischen Parteien, den von ihnen installierten Netzwerken, deren Ziel darin besteht, Steuerzahler zu schröpfen, und dem politischen Personal, dessen intellektuelle Kapazität in der Regel hinter der eines durchschnittlichen Bürgers zurückbleibt, gestrichen voll haben. Deutsche wollen den Wandel und ein demokratisches System, das nicht zum Spielball und zur Versorgungsanstalt von Parteien, ihren Multiplikatoren und ihrer spezifischen Klientel geworden ist.

Hinter diesen Ergebnissen steht eine gesellschaftliche Einigkeit, wie man sie in Befragungen selten findet: Die Ablehnung von Parteienfinanzierung, Finanzierungs-Nepotismus, von Berufspolitikern und politischem Personal, sie geht durch alle Altersklassen, ist unabhängig von der formalen Bildung, vom Einkommen und vom Erwerbsstatus. Wenn es in Deutschland je eine Volksbewegung gegeben hat, die Ablehnung dessen, wozu ein System, das einst als demokratisch geplant war, geworden ist, sie ist eine Volksbewegung.

Unsere Befragung ist nach wie vor online. Wer will, der kann sich durch einen einfachen Klick auf den folgenden Link noch daran beteiligen:

Hier geht es zu Befragung “Legitimität und Legitimation”.

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Mar 31

Unruhe, Revolution, Aufstand: Nicht in Deutschland – oder?

Wenn man die Unzufriedenheit, die weite Teile der Bevölkerung in Deutschland ergriffen zu haben scheint, in Stichpunkten Revue passieren lässt, dann fragt man sich unwillkürlich und nach mehr oder weniger kurzer Zeit, warum es in Deutschland so ruhig ist: Warum gibt es keinen Aufstand, keine Unruhe, angesichts:

  • einer Flüchtlingskrise?
  • einer Enteignung durch die Geldpolitik der EZB?
  • des endemischen Nepotismus’, mit dem politische Spezl sich gegenseitig versorgen?
  • einer politischen Klasse, die mehr mit deviantem Verhalten als mit dem Alltagsleben der Bürger befasst ist?
  • eines Rentensystems, das nicht aufrechterhalten werden kann, in das die Bürger aber dennoch ihr Geld bezahlen müssen?
  • einer Ungleichheitsstruktur, die manche Frauen von der Arbeit, die vollerwerbstätige Männer und Frauen verrichten, in allen Lebenslagen bis ins hohe Alter profitieren lässt?
  • einer weitgehenden Pervertierung demokratischer Werte von individueller Freiheit, Selbstbestimmung und Meinungsfreiheit?
  • einer Instrumentalisierung von Schulen als Kaderschmieden?
  • und
  • und
  • und

Für Max Weber ist die Legitimation einer politischen Ordnung in modernen Gesellschaften eng an die Legalität, “die Fügsamkeit gegenüber formal korrekt und in der üblichen Form zustande gekommenen Satzungen” gebunden (Weber, 1988: 581). Dabei ist er explizit der Ansicht, dass es nicht um die tatsächliche Legitimation einer politischen Ordnung geht, sondern um die “Vorstellung vom Bestehen einer legitimen Ordnung” (Weber, 1988: 573). Mit anderen Worten, für Weber ist eine politische Ordnung dann legitim und somit stabil, wenn die Bürger, die der entsprechenden Ordnung unterworfen sind, die Ordnung als legitim ansehen und dieses Ansehen auf ihre Vorstellung bauen, dass alles mit demokratischen und rechten Dingen zugeht, dass die Institutionen der demokratischen Ordnung, die Parlamente, die Gesetzgebung, die Gerichte, in einer legalen und den Regeln entsprechenden, keinen bevorzugenden oder benachteiligenden Weise funktionieren.

Die Vorstellung von der Legitimität oder der Glaube an die Legitimität der politischen Ordnung sind für Max Weber zentral, denn: “[s]oweit ‘Abstimmungen’ als Mittel zur Schaffung oder Änderung von Ordnungen legal sind, ist es sehr häufig, dass der Minderheitswille die formale Mehrheit erlangt und die Mehrheit sich fügt, also: die Majorisierung nur Schein ist” (Weber, 1988: .

Damit sind wir zurück bei der Eingangs gestellten Frage: Wenn es in demokratischen Systemen für organisierte Minderheiteninteressen ein Leichtes ist, eine Schein-Majorisierung zu erreichen, also für sich fälschlicherweise in Anspruch zu nehmen, den Willen der Mehrheit zu repräsentieren, dann folgt daraus zwangsläufig, dass die Anzahl derer, die sich politisch übervorteilt oder nicht repräsentiert sehen, immer größer, die Liste der Entscheidungen, die letztlich gegen den Willen der Mehrheit getroffen wurden, immer länger wird. Also stellt sich einerseits die Frage, wie viel Legitimität die geltende politische Ordnung noch hat, um andererseits die Frage zu beantworten, warum, trotz all der aufgezählten Fehlentwicklungen und Probleme der deutschen politischen Ordnung, es in Deutschland keinen Aufstand gibt.

Wir haben uns aufgemacht, diese Frage in unserer neuesten Befragung auf SurveyNET zu beantworten und hoffen, dass sich viele unserer Leser an der Befragung zu “Legitimität und Legitimation” beteiligen.

Zur Teilnahme bitte einfach hier klicken.

Weber, Max (1988). Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen: Mohr Siebeck.

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Feb 12

Wahlabsicht: AfD bei 16%

Leser von ScienceFiles werden sich noch an unser Fuzzy-Wahlprognose-Tool erinnern, das wir eigens zur Vorhersage des Ergebnisses der Bundestagswahl 2013 entwickelt haben. Das Tool hat sich als präziser als die Wahlhochrechnung der ARD erwiesen.

Nach unserem Vorhersageerfolg bei der letzten Bundestageswahl haben wir uns ein bisschen auf unseren Lorbeeren ausgeruht und das Fuzzy-Wahlprognosetool erst einmal in die Hall of Fame gepackt. Aus dieser haben wir es nun wieder hervorgeholt, um auf Grundlage eines Teils der Daten, die wir seit dem 13. Januar auf SurveyNET sammeln, hochzurechnen, wie die Bundestagswahl ausginge, wenn sie denn am nächsten Sonntag stattfinden würde. Derzeit stehen uns Daten von 5.506 Befragten zur Verfügung. Die Hochrechnung basiert auf den Angaben von 1.874 Befragten.

Wenn am nächsten Sonntag Wahl wäre, wie sähe das Ergebnis aus?

So:

Sonntagsfrage SF

Die CDU/CSU erzielt bei uns einen Anteil von 36,1%, die SPD wird zweitstärkste Kraft im ScienceFiles-Vorhersageparlament mit 23,1% der Stimmen. Die AfD wird mit einigem Abstand zu allen folgenden Parteien drittstärkste Kraft und erreicht einen Anteil von 15,9% der Stimmen, LINKE und Bündnis90/Grüne kommen auf 7,8% bzw. 7,6% der Stimmen. Die FDP ist in unserer Vorhersage draußen, kann also auch nicht in den nächsten Bundestag einziehen, was vermutlich am weitgehenden Fehlen eines liberalen Profils liegt, so dass man nicht wirklich weiß, warum man die FDP wählen sollte.

In der folgenden Tabelle haben wir unsere Hochrechnung mit den aktuellen Hochrechnungen von Allensbach, Emnid, Forsa und Infratest zusammengesellt.Sonntagsfrage VErgleich

Wie man sieht, schneiden linke Parteien bei den Umfrageinstituten besser ab als bei uns. Das mag daran liegen, dass diese Institute einen entsprechenden Bias in ihren Daten haben. Dass die FDP bei den Umfrageinstituten bei 5% liegt und somit in den Bundestag einzieht, während wir sie bei 4,5% und damit unterhalb der 5%-Hürde verorten, kann man vermutlich als Rundungsfreundlichkeit gegenüber der liberalen Partei ansehen.

Wer sich die Expertise von ScienceFiles im Bereich empirischer Sozialforschung sichern will, der kann sich einfach bei uns melden.

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Feb 04

Flüchtlinge sind Geschäft

Wir haben die ersten Zwischenergebnisse aus unserer derzeit laufenden Befragung zu Flüchtlingen, die wir unseren Lesern nicht vorenthalten wollen.

Die Ergebnisse basieren auf den Angaben von zwischenzeitlich 542 Befragten. Der Zwischenstand, den wir berichten, ruht also bereits auf einer soliden Basis.

Wir haben in der letzten Befragung u.a. die Einstellung zu Flüchtlingen erfragt, darunter die Einschätzung zu den folgenden drei Aussagen:

  • Es kommen zu viele Flüchtlinge nach Deutschland.
  • Flüchtlinge kommen wegen der großzügigen Sozialhilfe nach Deutschland.
  • Flüchtlinge werden von der Flüchtlingsindustrie benutzt, um sich Steuermittel zu verschaffen.

Jeder dieser Aussagen konnte auf einer Skala, die von “stimme voll und ganz zu”, über “stimme eher zu” und “stimme eher nicht zu” bis “stimme überhaupt nicht zu” reicht, zugestimmt oder nicht zugestimmt werden. Wir haben für erste Analysen Mittelwerte für die Antworten der 542 Befragten berechnet, wobei der Wertebereich der Antworten von 1 “stimme voll und ganz zu” bis 4 “stimme überhaupt nicht zu” reicht. D.h. je näher der Mittelwert bei “1” liegt, desto größer ist die Zustimmung, je näher er bei “4” liegt, desto größer ist die Ablehnung.

Als Ergebnis ergibt sich eine breite Zustimmung zu allen drei Aussagen. Die Werte reichen von 1,12 für die Aussage “Es kommen zu viele Flüchtlinge nach Deutschland” über 1,34 für die Aussage “Flüchtlinge werden von der Flüchtlingsindustrie benutzt, um sich Steuermittel zu verschaffen” bis 1,49 für die Aussage “Flüchtlinge kommen wegen der großzügigen Sozialhilfe nach Deutschland”.

Diese überwiegende Zustimmung zu den drei Aussagen findet sich für die Wähler aller Parteien. Egal, ob jemand bei der letzten Wahl CDU, CSU oder Linke gewählt hat, die Wahrscheinlichkeit, dass er den drei Aussagen zustimmt, ist sehr hoch. Dies zeigt die folgende Abbildung sehr deutlich, in der wir die Mittelwerte nach Wählern unterschiedlicher Parteien für die drei Aussagen aufgeschlüsselt haben.

SN_Fluechtlinge Partein

Wie man der Abbildung gut entnehmen kann, sind die Unterschiede zwischen den Wählern der unterschiedlichen Parteien eher gering ausgeprägt. Die Wähler aller Parteien stimmen den drei Aussagen überwiegend zu. Die deutlichsten Unterschiede gibt es bei der Einschätzung, dass Flüchtlinge von der Flüchtlingsindustrie benutzt werden, um an Steuermittel zu gelangen und im Hinblick auf die großzügige Sozialhilfe.

Wähler von Bündnis90/Grüne und SPD stimmen in geringerem Ausmaß der Aussage, dass Flüchtlinge von der Flüchtlingsindustrie genutzt werden, um an Steuermittel zu gelangen, zu als die Wähler anderer Parteien. Die Erklärung dafür dürfte sich in der größeren Anzahl von SPD und Bündins90/Grüne Wählern finden, die in der Flüchtlingsindustrie beschäftigt sind.

Wähler von LINKE und der SPD stimmen der Aussage “Flüchtlinge kommen wegen der großzügigen Sozialhilfe nach Deutschland” nicht in dem Ausmaße zu als Wähler anderer Parteien. Die Erklärung dafür kann in dem Umstand vermutet werden, dass unter den Wählern von LINKE und SPD mehr Arbeitslose zu finden sind als unter den Wählern anderer Parteien, so dass die Wahrscheinlichkeit, die vermeintliche Großzügigkeit des deutschen Sozialsystems am eigenen Leib erfahren zu haben, für Wähler von LINKE und SPD größer ist als für Wähler anderer Parteien.

Die Ergebnisse zeigen indes in ziemlich beeindruckender Weise die Überzeugung, dass zu viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen und sie zeigen darüber hinaus, dass damit verbundene Probleme nicht alleine den Flüchtlingen angelastet werden, für die die Mehrheit der Befragten vermutet, sie kommen wegen der großzügigen Sozialhilfe nach Deutschland, sondern auch der Flüchtlingsindustrie, von der die Mehrheit der Befragten annimmt, dass sie Flüchtlinge benutzt, um ihren Mitgliedern ein üppiges Auskommen auf Kosten der Steuerzahler zu verschaffen.

Flüchtlinge sind somit nicht nur zum Fixpunkt der Diskussion um die Verteilung von (finanziellen) Ressourcen zwischen Autochthonen und Zuwanderern geworden, sondern auch zum Fixpunkt der Diskussion um die Verteilung von (finanziellen) Ressourcen unter Mitgliedern der autochthonen Bevölkerung.

Die Befragung läuft weiterhin. Wer noch daran teilnehmen will, der kann dies hier tun.

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Jan 22

Wie Meinungsforschungsinstitute Repräsentativität herbeirechnen wollen

Manche kennen sicher die Geschichte des Ökonomen, der auf einer einsamen Insel strandet. Mit ihm strandet eine Schiffsladung Bohnen in Tomatensoße, in Dosen. Der Ökonom hat keinen Dosenöffner und geht das hartnäckige Problem des Öffnens von Dosen auf betont ökonomische Art an: Nehmen wir an, wir hätten einen Dosenöffner.

Im Gegensatz zu so manchem Leichtgläubigen, der noch an die Repräsentativität glaubt, wird unser Ökonom recht schnell an die Grenzen seiner Modellwelt stoßen, und die Annahme, er habe einen Dosenöffner, durch die Dosenbearbeitung mit verfügbaren Instrumenten ersetzen.

Schnell hill esser neuDas unterscheidet diejenige, die daran glauben, man könne eine repräsentative Stichprobe der Gesamtbevölkerung ziehen und die Ergebnisse der Stichprobe dann wieder auf die Bevölkerung hochrechnen, vom Ökonomen: Sie werden nicht mit dem Problem ihrer abstrusen Annahme konfrontiert, denn es gibt keine Möglichkeit, die Behauptung, der vorliegende Datensatz sei repräsentativ für die Bevölkerung zu prüfen.

Aber es gibt eine Vielzahl von Argumenten, mit denen man zeigen kann, dass die theoretisch vielleicht mögliche Ziehung einer repräsentativen Stichprobe in der Realität und an der Realität scheitern muss. Wir haben die entsprechenden Argumente bereits in einem früheren Post zusammengestellt.

Die behauptete Repräsentativität von Befragungen durch Meinungsforschungsinstitute hat in heutigen Gesellschaften häufig den Status des Legitimationsbeschaffers für Regierung, Parteien oder sonstige Interessenverbände. Sie lassen Befragungen durchführen und präsentieren deren Ergebnisse dann stolz als repräsentativ für die Bevölkerung und Unterstützung ihrer Politik oder beabsichtigten Politik.

Weil Meinungsumfragen diesen Status des Legitimationsbeschaffers innehaben, ist die Behauptung, eine Stichprobe von 1000 Befragten sei repräsentativ für die Bevölkerung, zu einem politischen Machtmittel geworden. Die Behauptung der Repräsentativität entlastet Politiker vom Kontakt mit Wählern und verschafft Umfrageinstituten eine stetig sprudelnde Quelle, und ganz nebenbei kann diese Quelle fast nach Belieben manipuliert werden.

Bei Meinungsforschungsinstituten ist es bekannt, dass die Stichproben, die sie ziehen, verzerrt sind, also nicht repräsentativ, wie immer behauptet wird. Deshalb bessern die entsprechenden Institute nach, durch die sogenannte Gewichtung der Daten.

Wer z.B. den ARD-Deutschlandtrend von Infratest dimap betrachtet, dem werden ausschließlich Prozentwerte dargeboten. 44% sehen eher Nachteile als Folge der Zuwanderung nach Deutschland. Gleiches findet sich bei Forsa: “Im stern-RTL-Wahltrend gewinnen CDU/CSU im Vergleich zur Vorwoche einen Prozentpunkt hinzu und kommen auf 39 Prozent.”

Wie viele Befragte diese 39% sind, die angeben, die CDU/CSU wählen zu wollen, wie viele Befragte sich hinter den 44% verstecken, die mehr Nachteile als Folge der Zuwanderung sehen, das erfährt man von keinem Umfrageinstitut und mit gutem Grund, denn würden die entsprechenden Angaben gemacht, die Leser würden sich wundern, sehr wundern. Und dass Sie sich wundern würden, liegt an den tatsächlichen Fallzahlen und an der Gewichtung, die aus tatsächlichen Befragten, repräsentative Befragte machen soll.

Um zu sehen, wie über Gewichtung nicht nur die Daten auf repräsentativ geschminkt werden sollen, sondern auch die Möglichkeit der Manipulation gegeben ist, erklären wir im folgenden die Funktionsweise der Gewichtung.

Nehmen wir an, ein Umfrageinstitut zieht zufällig eine Stichprobe und fragt nach der Partei, die ein Befragter bei einer letzten Wahl gewählt hat und nach der Partei, die er bei der nächsten Wahl wählen will. Das Ergebnis dieser Befragung ist in der folgenden Tabelle dargestellt.

Partei Wahlergebnis Stichprobe Wahlabsicht Stichprobe
CDU 25% 20%
Grüne 20% 15%
SPD 20% 15%
AfD 15% 25%

Tatsächlich hat die letzte Bundestagswahl eine andere Verteilung erbracht, als die Frage nach der letzten Wahlentscheidung in der Stichprobe unseres Meinungsforschungsinstituts. Mit anderen Worten, es ist nicht gelungen, das Wahlergebnis der letzten Wahl in der Stichprobe zu replizieren. Die Stichprobe ist also verzerrt und entsprechend nicht repräsentativ. Die nächste Tabelle zeigt das noch einmal:

Partei Tatsächliches Wahlergebnis Wahlergebnis Stichprobe Wahlabsicht Stichprobe
CDU 39% 25% 20%
Grüne 24% 20% 15%
SPD 23% 20% 15%
AfD 5% 15% 25%

Die offensichtliche Abweichung zwischen dem tatsächlichen Ergebnis, das die entsprechende Partei bei der letzten Wahl erreicht hat, und dem Ergebnis, das in der Stichprobe ausgewiesen wird, ist erheblich und offensichtlich eine Abweichung von der Realität, die man doch mit der angeblich repräsentativen Stichprobe abbilden will.

Was tun?

Gewichten!

Wenn die Daten, die man hat, von der Realität abweichen, dann muss man sie eben an die Realität anpassen, sie manipulieren. Das geht wie in der folgenden Tabelle dargestellt, in dem das tatsächliche Wahlergebnis, zum Ergebnis der letzten Wahl, wie es sich in der Stichprobe darstellt, ins Verhältnis gesetzt wird.

Partei Tatsächliches Wahlergebnis Wahlergebnis Stichprobe Gewichtungs-faktor Wahlabsicht Stichprobe
CDU 39% 25% 1,56 20%
Grüne 24% 20% 1,2 15%
SPD 23% 20% 1,15 15%
AfD 5% 15% 0,3 25%

Gemessen am tatsächlichen Wahlergebnis, ist die CDU in der Stichprobe um den Faktor 1,56 unterrepräsentiert, die Grünen um den Faktor 1,2, die SPD um den Faktor 1,15 und die AfD um den Faktor 0,33. Mit anderen Worten: Jeder Befragte, der angibt, bei der letzten Wahl die CDU gewählt zu haben, ist 1,56 Befragte wert, jeder Befragte, der angibt, Grüne gewählt zu haben, 1,2 Befragte, jeder Befragte, der angibt, SPD gewählt zu haben, 1,15 Befragte und jeder Befragte, der angibt, AfD gewählt zu haben, 0,3 Befragte.

Nun muss natürlich noch die Frage nach der Wahlabsicht, die dann als Wahlbarometer in Medien zu finden sein wird, angepasst, also mit dem Gewichtungsfaktor gewichtet werden. Das Ergebnis findet sich in der nächsten Tabelle.

Partei Tatsächliches Wahlergebnis Wahlergebnis Stichprobe Gewichtungs-faktor Wahlabsicht Stichprobe Wahlabsicht gewichtet
CDU 39% 25% 1,56 20% 31%
Grüne 24% 20% 1,2 15% 18%
SPD 23% 20% 1,15 15% 17%
AfD 5% 15% 0,3 25% 8%

Eh voila. In der letzten Spalte findet sich nun das gewichtet Endergebnis, wie es das Meinungsforschungsinstitut an die Öffentlichkeit geben wird, mit der Behauptung, es sei ein Ergebnis, das auf Grundlage einer repräsentativen Stichprobe gewonnen wurde.

Und warum findet man keine Angaben zur Anzahl der Befragten, die z.B. CDU oder AfD gewählt haben. Die Antwort lautet: Wegen der Gewichtung, denn die Gewichtung hat Auswirkungen auf die Anzahl der Befragten.

Partei Anzahl tatsächlich Befragter Anzahl gewichteter Befragter
CDU 250 390
Grüne 200 240
SPD 200 230
AfD 150 50

Wie man deutlich sieht, verändert die Gewichtung die Anzahl derer, die als Wähler der Parteien ausgewiesen werden. Mit anderen Worten: Gewichtung verfälscht die tatsächlichen Ergebnisse, macht manche Wähler mehrwertig, andere minderwertig und würde, wiese man sie aus, genau dieses offenkundig werden lassen. Das will natürlich niemand, wäre doch damit auch deutlich, welcher Hokuspokus sich hinter der angeblichen Repräsentativität verbirgt.

Die Tatsache, dass das Ergebnis, das als Endergebnis an die Öffentlichkeit gegeben wird, vom Gewichtungsfaktor abhängt, lässt sich nutzen, um das Ergebnis entsprechend bestimmter Interessen zu gewichten. Ein halbes Prozent hier, ein halbes Prozent da, oder die Einrechnung von 2% Fehlerwahrscheinlichkeit, die man als Meinungsforschungsinstitut immer für sich in Anspruch nehmen kann, und das Ergebnis sieht, aus, wie in der nächsten Tabelle dargestellt – wobei die Richtung der Abweichung vermutlich nach dem Motto funktioniert: Wer bezahlt, bestimmt”.

Partei Tatsächliches Wahlergebnis Wahlergebnis Stichprobe Gewichtungs-faktor Wahlabsicht Stichprobe Wahlabsicht gewichtet inkl. bezahlter Fehler
CDU 39% 25% 1,56 20% 31% 30%
Grüne 24% 20% 1,2 15% 18% 19%
SPD 23% 20% 1,15 15% 17% 18%
AfD 5% 15% 0,3 25% 8% 7%

Nun wird es sicher den einen oder anderen geben, der denkt, diese ein/zwei Prozent in der letzten Spalte, die seien vernachlässigbar. Um diesen Irrtum aufzuklären, muss man nur überlegen, wie sich diese ein/zwei Prozent dann auswirken, wenn eine Partei versucht, die 5%-Hürde zu überspringen oder dann, wenn die Regierungsbildung zwischen zwei ideologischen Lagern umstritten ist und die letztliche Entscheidung von einem oder zwei Prozenten mehr oder weniger für die eine oder andere Richtung abhängig ist.

Zudem muss man sich klar machen, dass die meisten repräsentativen Wahrheiten, die verkauft werden sollen, in Form der 44%, die negative Folgen von Zuwanderung sehen, verkauft werden sollen, also in einer Form, die keinerlei Überprüfung zulässt. Die Möglichkeit, über Gewichtung das Zünglein an der politischen Waage spielen zu können, ist insofern nicht zu unterschätzen.

Schließlich gewichten Umfrageinstitute in der Regel auch auf Grundlage sozio-demographischer Variablen, also nach Alter, Einkommen und Bildung. Entsprechend sind die Möglichkeiten, in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen, vielfältiger als hier dargestellt.

Wer nun immer noch an die Repräsentativität glaubt, dem ist nicht mehr zu helfen.

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Jan 21

Deutsche haben Angst, ihre Meinung zu sagen

In unserer Befragung zu Parteien, Demokratie und Freiheitsrechten, die wir derzeit online haben, erfragen wir u.a. die Einschätzung von Freiheitsrechten. Treffen die folgenden Aussagen voll und ganz, eher, eher nicht oder überhaupt nicht zu, so fragen wir u.a. für die Aussagen,

  • dass Deutschland freie und unabhängige Medien hat;
  • dass man in Deutschland ohne Angst in der Öffentlichkeit seine Meinung kundtun kann;
  • dass man in Deutschland vor Gericht gleichbehandelt wird;
  • dass in Deutschland die Erziehungsrechte von Eltern respektiert werden.

Die Ergebnisse, die wir hier als Zwischenstand nach 600 Befragten präsentieren, sind ernüchternd um nicht zu sagen: erschreckend. Die Mehrzahl unserer Befragten ist der Ansicht,

  • dass es in Deutschland keine freien und unabhängigen Medien gibt,
  • dass man in Deutschland nicht ohne Angst in der Öffentlichkeit seine Meinung äußern kann;
  • dass man in Deutschland vor Gericht nicht gleichbehandelt wird;
  • dass in Deutschland das Erziehungsrecht der Eltern nicht respektiert wird;

Die entsprechenden Einschätzungen sind nicht etwa etwas häufiger, sie sind viel häufiger als die Einschätzungen, die man in einer Demokratie als Einschätzungen der Mehrheit erwarten würde. Die folgenden beiden Abbildungen machen dies sehr deutlich.

SN_Freiheitsrechte_1

Eine deutliche Mehrheit der Befragten ist also der Ansicht, dass es in Deutschland, rudimentäre Freiheitsrechte, die in Demokratien gewährleistet sein müssen, damit sich die entsprechenden Regierungssysteme auch Demokratie nennen können, nicht gewährleistet sind. Folglich muss man konstatieren, dass die deutsche Demokratie zumindest in einer Glaubwürdigkeitskrise steckt, so richtig, glaubt niemand mehr, dass Deutschland durch ein demokratisches Regierungssystem ausgezeichnet ist.

Dies wird auch deutlich, wenn man analysiert, wer insbesondere der Ansicht ist, dass die entsprechenden Freiheitsrechte nicht gewährleistet sind. Wir stellen dies für diejenigen dar, die der Meinung sind, man könne in Deutschland nicht öffentlich seine Meinung sagen, ohne Angst zu haben.

Die entsprechende Einschätzung findet sich häufiger unter:

  • Wählern von SPD, AfD, FDP und Bündnis90/Grüne;
  • unter Personen, die ihre politische Orientierung mit rechts der Mitte angeben oder sich in der politischen Mitte verorten;

Und das war es im Wesentlichen, denn die Angst, sie zieht sich durch alle Bevölkerungsschichten: In welcher sozialen Schicht sich die Befragten verorten, macht keinen Unterschied. Wie alt sie sind, macht keinen Unterschied. Wie hoch ihr Einkommen ist, macht keinen Unterschied. Welchen Bildungsabschluss ein Befragter erreicht hat, macht keinen Unterschied.

Angst Munch.jpgDie Angst, in der Öffentlichkeit eine Meinung zu äußern, sie geht durch nahezu alle politischen Lager (auch wenn sie ab der Mitte des politischen Spektrums nach rechts zunimmt), sie durchzieht alle Bevölkerungsschichten, scheint allgegenwärtig zu sein.

Und dies, obwohl es in Deutschland angeblich keine Repressionen dafür gibt, seine Meinung in der Öffentlichkeit zu äußern. Angeblich ist hier wohl das operative Wort, wenngleich sich natürlich die Frage stellt, ob die Einschätzung auf der Befürchtung von Konsequenzen oder der Erfahrung von Konsequenzen basiert. Unabhängig davon kann man jedoch feststellen, dass bei allen, denen die Demokratie in Deutschland am Herzen liegt, die Alarmglocken läuten müssten, denn wenn die Meinungsfreiheit verloren ist oder aus Angst nicht mehr genutzt wird, ob diese Angst nun begründet ist oder nicht, dann ist die Demokratie tot.

In jedem Fall ist eine in der Bevölkerung verbreitete Angst, die eigene Meinung in der Öffentlichkeit zu äußern, ein Zeichen für einen massiven Vertrauensverlust gegenüber den demokratischen Institutionen in Deutschland, von denen offensichtlich nicht erwartet wird, dass sie die Möglichkeit garantieren, die eigene Meinung ohne Konsequenzen und letztlich angstfrei in der Öffentlichkeit auszusprechen. Auch ein solcher Vertrauensverlust hat ein Verenden demokratischer Institutionen und damit den Tod der Demokratie zur Folge. Denn in einer Gesellschaft, in der Grundvertrauen nicht vorhanden ist, einer Gesellschaft, in der aus Angst niemand mehr mit dem anderen spricht, findet kein öffentlicher Diskurs statt und deshalb kann auch keine Konsensbildung stattfinden.

Bleibt abschließend noch die Frage: Warum ist die Angst vor den Konsequenzen einer öffentlichen Meinungsäußerung in Deutschland so verbreitet? Aus sozialpsychologischer Sicht wird man diese Angst wohl als Ergebnis der Jagd auf die Meinungsfreiheit bewerten, jene Jagd, die unter dem Stichwort “Hasskommentare” geführt wird und mit der besonders Korrekte die Meinungsfreiheit korrekt erdrosseln und dabei sind, sie zu beseitigen.

Die Befragung zu Parteien, Demokratie und Freiheitsrechten läuft weiterhin. Wer sich noch nicht beteiligt hat, der möge dies bitte hier nachholen.

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Jan 18

Extremisten? Das sind Grüne und Linke!

Auf 1.739 ausgefüllte Fragebögen können wir zwischenzeitlich unsere Analysen stützen. Und heute haben wir eine besonders interessante Fragestellung betrachtet.

Wer sind eigentlich die Extremisten in diesem Land, so haben wir uns gefragt oder besser: Wer, welche Parteien werden eigentlich als Extremisten wahrgenommen.

Die Antworten, die wir im Folgenden geben, basieren auf unserem neu entwickelten Maß zur (Selbst)Einschätzung von Extremismus.

Zunächst jedoch etwas zur Ehrenrettung eines altehrwürdigen Instruments, mit dem die ideologische Orientierung gemessen werden soll. Eine Reihe von Kommentatoren hat darauf hingewiesen, dass das alte Links-Rechts-Schema nicht mehr zeitgemäß ist. Und in der Tat sind wir auch der Meinung, die Messung der ideologischen Orientierung muss neu justiert werden, weshalb wird derzeit an einem neuen Maß arbeiten.

Bis dahin muss jedoch festgestellt werden  – ob die Messung nun die objektive Wirklichkeit widerspiegelt oder einfach nur zeigt, dass jeder weiß, was mit dem Links-Rechts-Schema gemeint ist, also dass jeder etwas damit anfangen kann -, dass das Maß zur ideologischen Selbsteinschätzung nach wie vor valide Ergebnisse produziert.

SN_LRS nach PW

Je linker man eine Partei im Parteienspektrum verorten würde, desto linker ordnen sich auch die Wähler der entsprechenden Partei ein. Gleiches gilt für die rechte Seite des politischen Spektrums: Die AfD würde man rechts von der CDU/CSU verorten und genau dort verorten die Wähler der AfD sich auch selbst.

Nun zum Extremismus.

Wir haben in unserer Befragung eine Reihe von Instrumenten zur Messung von Extremismus, darunter eine Selbsteinschätzung sowie Einschätzungen des Extremismuspotenzials der verschiedenen Parteien genutzt.

Und hier spielt wirklich die Musik!

Zunächst zur Selbsteinschätzung: “Wie extremistisch schätzen Sie sich selbst ein?”, so haben wir gefragt. Die Ergebnisse sind hier als Mittelwerte über die Verteilung dargestellt, unterschieden nach der zuletzt gewählten Partei:

SN_SE-EXT

Wähler der Linken schätzen sich selbst extremistischer ein als Wähler von SPD, AfD oder von Bündnis90/Grüne. Geht es nach der Selbsteinschätzung der Wähler, dann sind die Wähler der Linken die Nummer 1 unter den Extremisten.

Vor diesem Hintergrund haben wir analysiert, wie das Extremismuspotenzial von Parteien eingeschätzt wird, und zwar von den Wählern der jeweiligen Parteien und allen anderen, die die entsprechende Partei nicht gewählt haben. Beschränkt haben wir uns dabei auf das Extremismuspotenzial von AfD, Bündnis90/Grüne und Linke. Was dabei herausgekommen ist, zeigen die folgenden Abbildungen:

SN_EXT_PW.jpg

Die drei wichtigsten Ergebnisse, die in den drei Abbildungen visualisiert sind, kann man wie folgt zusammenfassen:

  • Bündnis90/Grünen und Linker wird ein deutlich höheres Extremismuspotenzial zugeschrieben als der AfD.
  • Die Wähler der Partei, deren Extremismuspotenzial eingeschätzt werden soll, schätzen das Extremismuspotenzial “ihrer” Partei generell geringer ein als alle anderen.
  • Die Wähler von Bündnis90/Grüne und Linke schätzen das Extremismuspotenzial von Bündnis90/Grünen bzw. Linke, also der Partei ihrer Wahl, deutlich höher ein als das Extremismuspotenzial der AfD.

Insofern muss die Diskussion um Extremismus in Deutschland neu justiert werden. Als extremistisch wird nicht die AfD wahrgenommen. Wenn Deutsche an extremistische Parteien denken, dann denken sie in erster Linie an Bündnis90/Grüne und Linke. Dies gilt auch für die Wähler beider Parteien, so dass man deren Extremismus wohl als einen Grund, Bündnis90/Grüne oder Linke zu wählen, ansehen muss.

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Jan 14

Den etablierten Parteien laufen die Hochgebildeten davon

Forschung LIVE!

Wir haben uns nicht nur vorgenommen, mit SurveyNET eine Seite zu betreiben, auf der wir unsere eigene Sozialforschung machen und auf der wir dem Stand der Methoden und der Methodologie gerecht werden wollen, wir haben uns auch vorgenommen, den Lesern von ScienceFiles und SurveyNET hautnah die Ergebnisse laufender Befragungen zu präsentieren, sie quasi am Puls der Befragung zu halten und an der Befragung, an der sie mitgewirkt haben, weiter teilhaben zu lassen.

Und das tun wird jetzt!

diagram.pngUnsere derzeit laufende Befragung zum Extremismus beginnt mit zwei Fragen, in denen die Wahlentscheidung bei der letzten Bundestagswahl und die Wahlabsicht für die nächste Bundestagswahl erfragt werden.

Wir haben auf Grundlage der ersten 200 Teilnehmer an der Umfrage beide Fragen zueinander ins Verhältnis gesetzt und dabei folgende Auffälligkeiten festgestellt:

  • CDU/CSU, FDP und SPD verlieren an die AfD. Dabei sind die Verluste von CDU/CSU und FDP an die AfD höher als die der SPD, aber selbst die Verluste der SPD sind beachtlich.
  • Die AfD schafft etwas, was in der Vergangenheit nur wenigen Parteien gelungen ist, nämlich die Mobilisierung von Nichtwählern. Rund die Hälfte der Befragten, die bei der letzten Bundestagswahl nicht gewählt haben, plant AfD zu wählen. Der Anteil derjenigen, die bei der letzten Bundestagswahl nicht gewählt haben in unserem Sample beträgt derzeit rund 20%.

Nun stellt sich die Frage, wer sind die Wechsler, die CDU/CSU, FDP und SPD in Richtung AfD davonlaufen wollen und wer sind die Nichtwähler, die durch die AfD aktiviert werden, sich wieder an einer Wahl zu beteiligen?

Wir haben die Wechsler zur AfD vorläufig nach drei Merkmalen untersucht: Schulabschluss, Studium und Einkommen. Hier die Ergebnisse:

  • Wechsler von der CDU/CSU zur AfD haben in der Regel ein Abitur und ein abgeschlossenes Studium und ein hohes Einkommen.
  • Wechsler von der SPD zur AfD haben in der Regel ein Abitur und ein mittleres Einkommen.
  • Wechsler von der FDP zur AfD haben in der Regel ein Abitur, ein abgeschlossenes Studium und ein mittleres bis hohes Einkommen.
  • Nichtwähler, die beabsichtigen, bei der nächsten Wahl AfD zu wählen, haben in der Regel ein Abitur und ein abgeschlossenes Studium und finden sich am unteren und am oberen Ende der Einkommensskala.

Die AfD rekrutiert demnach Hochgebildete, Akademiker und die Bezieher von hohen Einkommen. Ein Ergebnis, das bei den etablierten Parteien die Alarmglocken läuten lassen sollte, denn offensichtlich fühlen sich Hochgebildete, Studierte und Bezieher mittlerer bis hoher Einkommen durch CDU/CSU, SPD und FDP nicht mehr repräsentiert, ein Ergebnis, das durch die Mobilisierung hochgebildeter und studierter Nichtwähler bei der letzten Bundestagswahl durch die AfD noch bestärkt wird.

Das Ergebnis ist ein Zwischenstand. Die Befragung läuft nach wie vor. Wer daran teilnehmen will, kann dies hier tun:

Extremismus: Gegenstand und Verbreitung.

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